Entstehung
grenzenlos
nicht allein
dein traum
Der Anstoß
Im Juni 2018 habe ich nach siebzehn Jahren erfüllten Schaffens meine Arbeitsstelle gekündigt. Dazu bewogen hat mich das Bedürfnis, eine aktive Haltung gegenüber Entwicklungen in unserer Zeit einzunehmen, die mich berühren und betrüben: Die wachsende Existenzangst der Menschen. Die Furcht der Menschen vor Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft und/oder Lebensweise als Bedrohung wahrgenommen werden. Die Popularität politischer Strömungen, die diese Furcht befeuern und Grundpfeiler der Demokratie in Frage stellen oder gar untergraben. Das Primat der Wirtschaftlichkeit in nahezu allen Bereichen unseres Lebens, wodurch menschliche, soziale, kulturelle Anliegen in den Hintergrund geraten. Und nicht zuletzt der damit einhergehende maßlose Verbrauch von Lebensressourcen, dessen Folgen für Mensch und Umwelt immer klarer zum Vorschein kommen, während sich die Ungleichheit des Zugangs zu ihnen vergrößert.
Die Suche
Es begann die Suche nach einer Tätigkeit, die dem mir bewusst gewordenen Bedürfnis gerecht wird und die zugleich die Möglichkeit bietet, das etablierte Wirtschaftsmodell zu befragen. Ich fasste eine Selbständigkeit ins Auge und fragte mich, was meine Arbeitsstunde kosten würde: 30, 80, 150, 4’000 Franken? Je mehr ich darüber nachdachte, desto absurder erschien mir die Frage. Mir wurde klar, dass Arbeitszeit Lebenszeit ist und dass die Lebenszeit eines Menschen – ob eine Stunde, ein Tag, ein Jahr oder ein ganzes Leben – nicht mit materiellem Gegenwert aufzuwiegen ist. So verspürte ich erstmals den Wunsch, meine Arbeit zu schenken. Denn was unbezahlbar ist, lässt sich nur verschenken, will ich dessen Wert nicht schmälern.
Die Annäherung
Ich versuchte, meine berufliche Tätigkeit losgelöst von jeglicher Entlohnung zu denken. Die Vorstellung fiel mir schwer. In jenen Momenten indes, in denen mir dies gelang, veränderte sich etwas in mir: Denken, Fühlen, Ideen gewannen an Großzügigkeit und Offenheit. Tauschte ich mich mit Menschen über meinen Wunsch aus, begann mein Gegenüber nicht selten mit funkelnden Augen von eigenen Wünschen, Ideen, Projekten zu erzählen; aber auch von Hindernissen und Ängsten, die einer Verwirklichung im Wege stehen. Aus den Gesprächen ergaben sich Gelegenheiten, mich mit meinen Kompetenzen einzubringen. Da ich meine Arbeit schenkte, konnte ich sogleich zur Tat schreiten – Budget hin oder her. Diese befreiende Tatsache wirkte anregend und verlieh dem jeweiligen Vorhaben Schwung. So übte ich mich darin, Arbeiten gänzlich vom Mittelfluss zu trennen, was mich zunehmend in meinem Wunsch bestärkte, meine Arbeit zu schenken.
Der Entschluss
Nach dreijähriger Vorbereitung in mentaler, emotionaler, konzeptioneller und struktureller Hinsicht spürte ich, dass die Zeit reif ist, meinen Herzenswunsch zu verwirklichen. So habe ich am 1. Januar 2021 das Schenken zur Basis meines Lebens gemacht und den Selbstversuch «libeff» gestartet. «libeff» steht für Lino‘s Best for free. Die Idee dahinter ist einfach: Ich schenke Menschen meine Lebenszeit, andere Menschen beschenken mich. Dabei handelt es sich um ein Schenken- und Beschenktwerden frei von jeglichem buchhalterischen Denken in Soll und Haben und somit auch frei von jeglicher Schuld.
Ich verstehe «libeff» nicht als universelle Lösung für die Herausforderungen unserer Zeit. Es ist vielmehr ein Experiment, das Erfahrungen und Begegnungen ermöglicht und zum gemeinsamen Fragen und Suchen einlädt. Mit «libeff» will ich Mut machen – zum offenen Denken, Träumen, Tun.
Lino
im Dezember 2021